Man(n) kennt dieses Klischee: Männer seien die besseren Weinkenner und hätten in diesem Metier schon immer die Nase vorn. Doch offenbar stimmt das gar nicht. Immer mehr Studien belegen nämlich das Gegenteil. So fanden etwa Wissenschaftler erst vor einigen Jahren heraus, dass Frauen auf Gerüche wesentlich empfindlicher reagieren als Männer und sich an bestimmte Düfte auch besser erinnern können. Laut den veröffentlichten Studien hätten Frauen fast 50 Prozent mehr Nervenzellen in ihren Nasen als Männer. Dabei handelt es sich auch um Strukturen des vorderen Gehirns, die Geruchssignale von der Riechschleimhaut der Nase in jene Hirnteile weiterleiten, in denen die Geruchswahrnehmung erfolgt. Fazit: Frauen sind mindestens so geeignet, Weine zu erkennen und den jeweiligen Geschmack zu definieren, wie Männer – mitunter sogar besser.
Dennoch wird das Winzerhandwerk seit jeher von Männern dominiert. Frauen traute man lange Zeit weder die körperlich schwere Arbeit noch die nötige Durchsetzungskraft zu. Und so wundert es uns nicht, dass immer noch wenige Väter ihren Weinbaubetrieb an die Töchter übergeben. Meist bekommt der männliche Nachfolger den Vortritt. Doch langsam ändert sich die Weinwelt. Die Zahl an erfolgreichen Winzerinnen steigt stetig, manche stehen inzwischen sogar an der Spitze weltberühmter Weinimperien, wie etwa im Fall Antinori in der Toskana.
Die italienische Adelsfamilie Antinori betreibt bereits seit 26 Generationen Weinbau und zählt zu den größten und bedeutendsten Weinproduzenten der Welt. Vor allem unter der Leitung von Marchese Piero Antinori wurde das Weinimperium mit Weingütern in den verschiedensten Ländern der Welt zu einem der ganz großen Player im internationalen Weinbusiness. Doch inzwischen sind es seine drei Töchter Albiera, Allegra und Alessia, die im Unternehmen das Sagen haben. Drei Chefinnen an der Spitze eines Giganten im weltweiten Weingeschäft, das gab es
bislang noch nie. „Alle meine drei Töchter haben die beiden wichtigsten Zutaten für die Herstellung feinster Weine: Gehirn und Leidenschaft“, ist Marchese Antinori überzeugt.
Albiera Antinori ist die bereits die 26 Generation in diesem geschichtsträchitgen Unternehmen
Seit 2017 ist die älteste Tochter CEO des Familienunternehmens. Albiera, 55, studierte zunächst an der IPSOA Business School in Mailand und danach Wein- bau an der Universität von Florenz und in San Michele all’Adige. Sie stieg 1986 offiziell in den Familienbetrieb ein und war zunächst für die internationale Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Heute leitet sie das Unternehmen mit sicherer Hand, eine ihrer Visionen ist es, einen ganz besonderen Wein für jedes einzelne Weingebiet zu produzieren. Das bedeutet, dass der Weinanbauprozess ständig optimiert werden muss. Auch international möchte Albiera den Fokus auf das Weingeschäft in China und Nordamerika verstärken, zwei der wichtigsten Märkte für edle Weine.
Allegra, 51, ist seit 1990 in Antinoris Weinreich beschäftigt, war erst für die Aufsicht der Ernte auf fast allen Weingütern der Familie zuständig und über- nahm dann die Leitung als Direktorin für Kommunikation und Sonderprojekte. Heute managt sie hauptsächlich die gastronomischen Initiativen des Hauses, darunter das „La Cantinetta Antinori“-Konzept mit vier Osterien in Florenz, Zürich, Wien und Moskau. Die 47-jährige Alessia wiederum stu- dierte Weinbau und Önologie an der Agraruniversität in Mailand und arbeitet seit 1998 als Önologin im Betrieb mit. 2003 und 2004 war sie zudem Präsidentin der Primum Familiae Vini, einer Organisation von zwölf der renommiertesten Weinfamilien der Welt. Von 2006 bis 2008 war sie als Exportmanagerin für die Märkte vor allem im Nahen Osten, in weiten Teilen Asiens und Australien zuständig. Seit ein paar Jahren führt sie unter anderem auch das familieneigene Schaumweinhaus in Franciacorta.
Elisabetta Foradori ist eine Ikone des italienischen Weinbaus
Ob Frauen beim Weinmachen grundsätzlich anders vorgehen als Männer, ist nicht gesichert, manchmal prägen sie aber ein Weingut auf eine ganz spezielle Weise. So wie im Fall der charismatischen Elisabetta Foradori, eine Winzerikone aus dem italienischen Trentino. Foradori, 68, übernahm nach dem frühen Tod ihres Vaters mit nur 20 Jahren das elterliche Weingut. Berühmt geworden ist die Winzerin aus dem Trentino vor allem für ihre Spitzenweine aus der seltenen Rebsorte Teroldego. Die Winzerin widmete sich schon früh dieser etwas eigenen, nur im Trentino heimischen Rebsorte – und zwar so intensiv wie niemand sonst. Die Trentiner müssten ihr eigentlich ein Denkmal setzen, denn die Teroldego-Rebe kannten nur wenige, bevor sie von Foradori aus der Versenkung gehoben wurde. Überdies begann die leidenschaftliche Winzerin („Wein ist wie die Liebe, beides braucht viel Zeit“) im Jahr 2002 biodynamisch zu arbeiten, 2008 folgten Amphoren. Alles in allem steht der Name „Foradori“ für ganz außergewöhnliche Weine abseits des Mainstreams. Inzwischen wird das Weingut von ihren Kindern Emilio, Theo und Myrtha Zierock geführt, die „Königin des Teroldego“ aber hat sich noch nicht gänzlich zurückgezogen und berät die Jungen nach wie vor in wichtigen Fragen. Der biodynamische Weinbau hat inzwischen auch das Bordelais erreicht. Der Wein des Weinguts Pontet-Canet ist das erste klassifizierte große Gewächs des linken Ufers mit biodynamischer Zertifikation. Und auch dort steht eine Frau an der Spitze des Unternehmens: Justine Tesseron leitet seit 2015 das Weingut und treibt seither die Umstellung in Richtung biodynamischer Methodik weiter voran. Viele Kolleginnen hat sie nicht im Bordeaux, in der berühmten französischen Weinregion regieren immer noch die Männer. Doch davon lässt sich Tesseron nicht beirren, ihre Weine sind gefragt wie nie.
Mit 22 musste sich Arianna Occhipinti mit vielen Vorurteilen herumschlagen
Mit außergewöhnlichen und charakterstarken Weinen hat sich auch die aus Sizilien stammende Arianna Occhipinti, 38, einen Namen gemacht. Mit nur 22 Jahren wollte sie unbedingt Wein machen. Zugetraut hat es ihr niemand. Weinmachen sei nichts für eine junge Frau, hörte sie oft, noch dazu ohne Erfahrung im Weinbau. „Mich haben Widerstände aber immer magisch angezogen“, sagt Occhipinti. Sie kommt aus gut situierten Verhältnissen. Sie hätte alle Möglichkeiten gehabt, aber die eigenwillige Sizilianerin entschied sich für ein Önologiestudium in Mailand und für ein eigenes Weingut in ihrer Heimat. Bereut habe sie es nie, sagt sie. Inzwischen ist sie längst eine Ikone der internationalen Naturweinszene. Occhipinti gehört zu jener Art von Winzerinnen, die freiwillig in ein männer- dominiertes Metier eingestiegen sind. Manchmal ist es aber auch die Not, die Frauen in Positionen bringt, die sie sich selbst nie vorstellen konnten. So wie die Französin Carol Duval-Leroy, die 1991 im Alter von 35 Jahren die Leitung des Champagnerhauses ihrer Familie übernommen hatte, da ihr Mann jung verstarb. Sie sei völlig unvorbereitet gewesen, sagt sie heute, unter diesen Umständen denke man nicht viel nach, man müsse einfach handeln. Ergebnis: In rund 30 Jahren machte sie das Unter- nehmen zu einem der besten Häuser der Region.
Katharina Tinnacher und Ingrid Groiss sind nur zwei Beispiele für starke Frauen in der österreichischen Winzerszene
Auch in Österreich ist die Zahl an starken Frauen im Weinbusiness inzwischen deutlich gestiegen. Immer mehr junge Winzerinnen stellen sich der Herausforderung, einen Job zu erledigen, von dem es lange Zeit hieß, er sei nichts für Frauen. So wie im Fall von Ingrid Groiss aus dem Weinviertel. Seit 2010 führt sie den Familienbetrieb ihrer Eltern weiter – und das mit Bravour. An- gefangen hat sie mit klassischen, sortentypischen Weinen, die ihre Persönlichkeit, den Ausdruck der Region und deren Lagen widerspiegeln. Ihrer Linie ist sie bis heute treu geblieben. Sie wollte im- mer naturnahe und individuelle Weine mit Herkunftsprofil und Sortencharakteristik produzieren. In den letzten Jahren hat sie sich auch international einen Namen gemacht. Den bisher größten Erfolg hat sie mit ihrem Gemischten Satz, der sowohl alte Traditionen als auch moderne Weinproduktion verbindet. Ähnlich die Erfolgsgeschichte der Steirerin Katharina Tinnacher. Sie zählt längst zu den besten Winzerinnen Österreichs und hat alle Mühen des Weinmacherhandwerks durchgemacht. Hinzu kommt, dass die steilen Lagen in der Südsteiermark meist nur händisch und mit viel Einsatz bewirtschaftet werden. Doch Katharina Tinnacher schaffte, was viele nicht für möglich gehalten haben, mit viel Konsequenz und einer klaren Vorstellung, wie Weine mit einer markanten Handschrift und einem deutlichen Herkunftscharakter auszusehen haben. Überraschend dabei: Für ihren Vater stand nie zur Diskussion, dass eine seiner Töchter einmal den Betrieb übernehmen wird – mit oder ohne Mann an der Seite.
Tipps:
ANTINORI
Antinori ist der größte private Weinbetrieb Italiens, die bekanntesten Weine sind Tignanello und Solaia.
Marchesi Antinori S.p.A via Cassia per Siena, 133 Loc. Bargino, 50026 antinori.it
Erhältlich bei vinorama.at
ARIANNA OCCHIPINTI
Im äußersten Süden Europas produziert eine junge Winzerin feingliedrige Weine, die die Welt begeistern.
Via dei Mille 55, 97019 Vittoria, Sizilien, agricolaocchipinti.it
Erhältlich bei weinskandal.at
AGRICOLA FORADORI
Elisabetta Foradori gilt als „Königin“ der autochthonen Rebsorte Teroldego.
Via Damiano Chiesa 1, 38017 Mezzolombardo, Trentino-Südtirol agricolaforadori.com
Erhältlich bei weinco.at
CHÂTEAU PONTET-CANET
Berühmtes biodynamisches Weingut im Bordeaux innerhalb der Appellation Pauillac.
Château Pontet-Canet, 33250 Pauillac, Frankreich, pontet-canet.com
Erhältlich bei millesima.at
DUVAL-LEROY
Berühmter Champagnerproduzent mit Sitz in Vertus, einem Dorf in der Region Côte des Blancs in der Champagne.
69 Av. de Bammental, 51130 Blancs- Coteaux, Frankreich, duval-leroy.com
Erhältlich bei wagners-weinshop.com
WEINGUT LACKNER- TINNACHER
Das Weingut unter der Leitung von Katharina Lackner-Tinnacher zählt zu den besten der Steiermark.
Steinbach 12, Lackner-Tinnacher- Weg, 8462 Gamlitz, tinnacher.at
Erhältlich bei feingeist.at
WEINGUT INGRID GROISS
Die junge Winzerin produziert im Weinviertel Weine von internationalem Format.
Tullner Straße 472, 2014 Breitenwaida, ingrid-groiss.at
Erhältlich bei weinco.at