Verliebt in einen Scharfmacher

Vielseitig einsetzbar, gesund und einfach Köstlich. All dies vereint diese einzigartige Wunderknolle.
Ingwer galt bereits im 16. Jahrhundert als Aphrodisiakum und schrieb schon früh Gesundheitsgeschichte. 2018 wurde die Superknolle zur Heilpflanze des Jahres gekürt.

Der Tag, an dem ich das erste Mal in meinem Leben Ingwer zu mir nahm, war seltsam. Ich stand am Beginn einer Ayurveda-Kur, hatte mir beim Heben des beachtlichen Kurgepäcks das Kreuz verrissen und Appetit auf ein Schnitzel. Allerdings bekam ich lediglich einen Teller Gemüsesuppe ohne Kurgebäck serviert. Vor allem aber einen Krug lauwarmes Wasser, in dem ein paar Scheiben Ingwer schwammen. Oh!
Dass ich in Bezug auf den Trunk mit der Zeit Feuer fangen würde, ahnte ich in diesem Moment nicht, von Liebe auf den ersten Blick keine Spur.
Und heute? Heute sind der Ingwer und ich ein altes Paar. Nicht unbedingt, weil er die Menschheit dereinst als Aphrodisiakum erfreute, wie im 16. Jahrhundert beschrieben. Damals wurde die Knolle in der Volkskunde, gemeinsam mit Knabenkraut, als „nützlich für den alten Mann, welcher erkaltet ist“, empfohlen (vielleicht sagt man auch des- halb „Immerwurzel“ dazu, wer weiß?). Ingwer schrieb schon früh Gesundheitsgeschichte: Der chinesische Philosoph Konfuzius (551–479 v. Chr.) soll keine Mahlzeit ohne Ingwer zu sich genommen haben. Es war der große Arzt Paracelsus (1493–1551), der Ingwer zur innerlichen Anwendung verordnete – bei Fieber zum Beispiel. Im Jahr 2018 wurde die Knolle schließlich zur Heilpflanze des Jahres gekürt.

Ich mag Ingwer als Zutat im Essen zum Beispiel im Wok, als Tee – und nach wie vor als Ingwerwasser, was meiner Begeisterung für Ayurveda, der indischen Gesundheitslehre, geschuldet ist. In der heißt es, dass Ingwerwasser „Agni“ unterstützt, das „Verdauungsfeuer“. Ist der Bauch warm, wird der Rest des Körpers warm und der Stoffwechsel angekurbelt. Alles gut! Schön ist außerdem die Art und Weise, wie–der ayurvedischen Philosophie folgend – Ingwerwasser getrunken werden soll: sehr langsam, Schluck für Schluck. Ein meditativer Suff im Namen der körperlichen und psychischen Gesundheit. Und eine Herausforderung für Ruckzuck-Genießer wie mich. Möge die Übung gelingen.

Ist eine Erkältung mit erstem Halskratzen und Niesen im Anzug, trinke ich frisch aufgebrühten Ingwertee. Er kurbelt meine Superkräfte an. In der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) wird frischer Ingwer ebenfalls hochgeschätzt und es wird empfohlen, davon immer eine kleine Menge vorrätig zu haben. Speziell in der kühlen Jahreszeit und bei chronisch kalten Füßen wäre es ratsam, nicht allzu starken Ingwertee kurmäßig zu trinken und eine kleine Menge Ingwer zwei Wochen lang täglich im Essen zu verwenden. Und schon strömt sie, die innere Wärme. Ingwer passt zu Gemüse, Fleisch und sehr gut zu Fisch, wie Sushi- Freunde wissen, die ihn vor allem in der eingelegten Form kennen.
Laut TCM vertreibt der scharfe Geschmack innere Kälte und schädliche Darmbewohner. Für Reisen empfiehlt es sich daher, Ingwer in Alkohol anzusetzen – zum Beispiel in Wodka, in dem die Knolle eine Woche lang schwimmt. Ein täglicher Teelöffel dieses Ingwerschnapses beugt Reisekrankheiten vor. Achtung: Menschen mit zu viel Hitze oder Gallensteinen sollten aufpassen: Ihnen schadet Ingwer eher. Schwangere und Stillende müssen mit Ingwer eben- falls sparsam umgehen. Ach ja, ein Geheimtipp: Habt ihr einen Kater wegen zu vieler Cocktails oder Wein? Ein Shot hilft! Ein Ingwershot, natürlich (siehe Rezept rechts; er wirkt auch vorbeugend gegen Erkältungen). Oder Ingwertee. Beides reguliert den Magen.

Aber was steckt in diesem Superfood genau? Scharfmacher! Gingerole als Scharfstoffe und Zingiberol als ätherisches Öl – Ersteres soll eine aspirinähnliche Wirkung haben. Sie sind es, die von innen wärmen und wie ein Turbo auf den Körper wirken, kreislaufanregend, aber auch die Fettverbrennung fördernd. Abschließende Notiz: In England gilt Ingwer, „Ginger“, als eine Art „Nationalgewürz“ und ist fixer Bestandteil der englischen Küche, etwa in Form von Gingerbread, Gingermarmelade, Gingerale oder als Ingwerbier. Selbst in Käse kommt Ingwer: Die englische Käserei Wensleydale aromatisiert ihren Yorkshire Wensleydale Cheese damit. Und auch im Königshaus ist man angeblich very amused, wenn zum traditionellen Afternoon-Tea ein paar trockene Ingwerkekserln serviert werden.

 

von Gabriele Kuhn

Werde Premium Mitglied

Werde jetzt Premium-Mitglied in Martina's Kochsalon und genieße viele exklusive Vorteile, wie den uneingeschränkten Zugriff auf über 1.000 Rezepte.